Donnerstag, 2. Februar 2012

Ein Meisterwerk

         – Ueber ein Spiel, welches keines ist –


Hin und wieder erblicken Spiele das Licht dieser grausam-brutalen Welt, die so wenig beachtet werden, dass sie sich gleich wieder erhängen. Einige dieser Spiele haben ein so brutales Schicksal auch fast verdient, andere aber sollten nicht sterben. Als Artenretter für unbekannte Indispiele habe ich mich auf in die Weiten dieses Erdenrunds gemacht und nach bedrohten Spielen gesucht. Eines hatte die Schlinge bereits um den Hals gelegt. Doch bevor es vom Stuhl springt um endgültig Lebewohl zu sagen habe ich von diesem Spiel eine Chance bekommen, es zu retten. Dies werde ich hier versuchen. Wünscht mir Glück!

Das suizidgefährdete Spiel von dem hier die Rede ist kommt mehr als schlicht daher. Auf dem ersten Blick wirkt es wie ein 4:3-Pixelbrei aus den Anfängen der Videospielgeschichte. Doch unter dieser altmodischen Hülle steckt viel Gefühl und eine Geschichte voller Melancholie und Spannung. Ihr spielt ein Forscherpaar, welches dank einer merkwürdigen Maschine die Fähigkeit besitzt Menschen jede Art von Wunsch zu erfüllen. So ergibt es sich, dass wir an das Sterbebett eines alten und sehr kranken Mannes gerufen werden, der sich nichts sehnlicher wünscht als einmal zum Mond zu fliegen. Das Forscherpaar macht sich also an die Arbeit und begibt sich mithilfe der Wundermaschine in die Vergangenheit des Todkranken. Dort werden sie seine Erinnerung verändern und ihm glauben lassen, er habe sich seinen größten Wunsch erfüllt – er sei zum Mond geflogen. Er wird also seinen großen Traum nie erfüllt bekommen, aber er wird glauben, er habe ihn erfüllt.

Leider geht das nicht so einfach wie man denkt, denn um in seine Erinnerung zu reisen benötigen die Forscher immer wieder neue Erinnerungsbruchstücke. So geht es nur Stückweiße zurück in die jungen Jahre des Kranken. Man erlebt so die Lebensgeschichte dieser Person und bekommt diese auf wundervolle und fast schon magische Art und Weiße erzählt. Diese Magie, dieses ganz besondere Gefühl beim Spielen macht dieses einzigartige Spiel aus. Immer wieder bekommt man Gänsehaut, wenn der großartige Soundtrack eingespielt wird. Klaviermusik, die das melancholische Gesamtgefühl untermalt und der Atmosphäre einen einmaligen Zauber einhaucht.



Das eigentliche Spiel tritt dabei nahezu vollständig in den Hintergrund. Man will nur wissen, was es mit der Geschichte des todkranken Rentners auf sich hat. „Warum will er zum Mond?“ wird zur zentralen Frage des Spiels. Immer neue Mysterien unterstützen diese Neugier. Diese Geschichte, so behaupte ich, ist eine der besten die diese Videospielwelt bis heute gesehen hat. Sie mag ein wenig kitschig sein, aber am Ende rührt sie selbst gestandene Männer zu tränen.
Daran sind auch die Charaktere schuld, welche man bereits nach den ersten Minuten ins Herz schließt. Das Forscherpaar, der kranke Mann und all die anderen. Jeder hat trotz der schwachen Technik und der fehlenden Sprachausgabe einen ganz eigenen Charakter. Jeder ist glaubwürdig und auf seine weiße liebenswert.
Spielerisch ist dieser Titel allerdings nicht wirklich liebenswert. Im Prinzip macht ihr nichts anderes als die Hauptfiguren von einer Sequenz in die nächste zu klicken. Dies mag langweilig und befremdlich klingen, aber es stört überhaupt nicht. Im Gegenteil – ab einem gewissen Punkt will man das Spiel wie ein Buch aufsaugen und die, wie gesagt leider unvertonten, Gespräche lesen. Das Spiel steht hier hinten an – es geht um die Geschichte.
Dies geht sogar so weit, dass man mit der Zeit mitbekommt, dass das besagte Spiel eigentlich keins sein will. Es möchte seinen ganz besonderen Flair versprühen, seine Geschichte erzählen und danach ganz bescheiden wieder abtreten. Dies darf und kann es auch. Und wie. Wer diesen Titel einmal begonnen hat, dem wird schnell klar, dass hier keine spielerische Herausforderung sondern vielmehr eine emotionale Achterbahn auf ihn zukommt. Bei anderen Spielen mag dies negativ sein, doch hier passt es irgendwie.


Dieser Titel hat Stärken, die heutzutage bei einem Videospiel kaum noch erwartet werden. Anstatt genialer Grafik kommen hier differenzierte und glaubwürdige Charaktere, statt brachialer Action eine liebevolle Geschichte. Der Entwickler selbst sagt, dieses Spiel sei eigentlich kein Spiel. Es sei eine neue Art Geschichten zu erzählen. Und irgendwie hat er Recht. Ja, man spielt die beiden Wissenschaftler und ja, es sieht aus wie ein altes Spiel aus den 90er Jahren. Aber eben das ist es gerade nicht. Ein Spiel, welches sich nur durch seine Charaktere und durch seine Geschichte auszeichnet ist doch kein Spiel. So etwas kennen wir heute nur noch von Büchern und vielleicht von sehr guten Filmen, aber in einem Spiel gibt es so etwas nicht. Dort regieren Action und Grafik – Storytelling steht hinten an. Deshalb kann dieser Titel kein Spiel sein. Es ist eine interaktive Geschichte, die durch den Interakteur vorangetrieben wird. Wer „Heavy Rain“ als „Filmspiel“ betrachtet, der kann dieses Spiel gerne „Buchspiel“ nennen. Irgendwie habe ich beim spielen das Gefühl gehabt, etwas wahrhaft neuartiges, eine Revolution, ja gar eine Neuschöpfung an Unterhaltungsmedium zu sehen. Allein deshalb ist das von mir bis hier hin völlig bewusst noch nicht namentlich genannte „Spiel“ einzeigartig und kaufenswert.
Dieser, ja man kann fast schon sagen Meilenstein, ist wirklich ganz besonders und dabei bis in das letzte Pixel bezaubernd. Wer den (noch) lebenden Beweis sehen will, dass in „Spielen“ eben doch gute Geschichten erzählt werden können (und wer der englischen Sprache mächtig ist), der gibt diese zehn Euro sofort aus!
Schaltet euren PC an, startet dieses Spiel und genießt eine der besten Geschichten in einem Videospiel überhaupt. Kauft es und verhindert, dass es vom Stuhl springt und sich endgültig erhängt. Es gehört nicht auf den Friedhof der für immer vergessenen Spiele – es gehört in den Olymp, dahin wo derzeit Super Mario, der linke Strich aus Pong und Link auf dem Graßblock aus Minecraft sitzen. Dieses Spiel ist mehr Videospielgeschichte als wir uns vorstellen können und dabei doch so unfassbar bescheiden. Ein Meilenstein meiner persönlichen Videospielgeschichte – „To the Moon“.

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